Donnerstag, 11. November 2010

Präimplantationsdiagnostik und das Embryonenschutzgesetz

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Im Zuge der momentanen Diskussion, angeregt durch die kürzliche Entscheidung des BGH (06.07.2010, Az.: 5 StR 386/09) möchte auch ich meinen Beitrag dazu tun.

Zunächst möchte ich aber etwas Hintergrundwissen aufbereiten.

Was versteht man eigentlich unter Präimplantationsdiagnostik:
Präimplantationsdiagnostik kurz PID ist die Entnahme und Untersuchung einer Zelle eines durch Invitro-Fertilisation entstandenen Embryos vor der Übertragung in die Gebärmutter. Ziel ist der Transfer von Embryonen ohne ererbte Gendefekte (Pschyrembel, 260. Auflage). Das bedeutet, dass einer Frau durch eine Hormonbehandlung Eizellen entnommen wurden, welche sodann im Reagenzglas befruchtet werden, um dann das Erbgut nach Gendefekten zu untersuchen. 

Die jetzt erlaubte Untersuchung des Erbgutes findet durch eine Blastozystenbiopsie statt.
Dem aus 40 bis 80 Zellen bestehenden (From-mel/Taupitz/Ochsner/Geisthövel Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie 2010, 96, 99) Blastozysten werden nicht mehr totipotente (vgl. Beier ZaeFQ 2002, 351, 354 ff.) Trophoblastzellen entnommen, die in einem späteren Stadium das (kindliche) Nährgewebe (Placenta) bilden, weswegen der Embryo(-blast) selbst nicht betroffen ist. (BGH, 06.07.2010, Az.: 5  StR 386/09)

Was sind die gesetzlichen Grundlagen (Gesetze, nichtamtlich, stammen von www.gesetze-im-internet.de):
  1. § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG
    § 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken
    (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
    2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als
    eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt,
  2. § 2 Abs. 2 ESchG
    § 2 Mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen
    (1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in
    der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis
    zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
  3. § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG
    5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines
    Zyklus übertragen werden sollen,
  4. § 8 Abs. 1 ESchG
    § 8 Begriffsbestimmung
    (1) Als Embryo im Sinne dieses Gesetzes gilt bereits die befruchtete,
    entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. 
  5. § 3 ESchG
    § 3 Verbotene Geschlechtswahl
    Wer es unternimmt, eine menschliche Eizelle mit einer Samenzelle künstlich zu befruchten, die nach dem in ihr enthaltenen Geschlechtschromosom ausgewählt worden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Dies gilt nicht, wenn die Auswahl der Samenzelle durch einen Arzt dazu dient, das Kind vor der Erkrankung an einer Muskeldystrophie vom Typ Duchenne oder einer ähnlich schwerwiegenden geschlechtsgebundenen Erbkrankheit zu bewahren, und die dem Kind drohende Erkrankung von der nach Landesrecht zuständigen Stelle als entsprechend schwerwiegend anerkannt worden ist.
  6. § 15 Abs. 1 Satz 1 GenDG
    § 15 Vorgeburtliche genetische Untersuchungen
    (1) Eine genetische Untersuchung darf vorgeburtlich nur zu medizinischen Zwecken und nur vorgenommen werden, soweit die Untersuchung auf bestimmte genetische Eigenschaften des Embryos oder Fötus abzielt, die nach dem allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft und Technik seine Gesundheit während der Schwangerschaft oder nach der Geburt beeinträchtigen, oder wenn eine Behandlung des Embryos oder Fötus mit einem Arzneimittel vorgesehen ist, dessen Wirkung durch bestimmte genetische Eigenschaften beeinflusst wird und die Schwangere nach § 9 aufgeklärt worden ist und diese nach § 8 Abs. 1 eingewilligt hat.
Was versteht man unter folgenden Begriffen:
  1. Totipotent
    In der Zellbiologie werden Zellen dann als totipotent bezeichnet, wenn sie in geeigneter Umgebung (Gebärmutter) noch zu kompletten Individuen heranwachsen können. Für die Entwicklung von Säugetieren, auch des Menschen, geht man davon aus, dass embryonale Zellen bis längstens zum 8-Zell-Stadium totipotent sind. In Experimenten mit Primaten ist es bislang jedoch nur in wenigen Fällen gelungen, aus einzelnen Zellen des Vierzellstadiums Tiere zu erzeugen. Die Blastozyste, bestehend aus einer inneren Zellschicht (Embryoblast) und einer äußeren Zellschicht (Trophoblast), stellt einen jungen aus wenigen Hundert Zellen bestehenden Zellhaufen dar, dessen innere Zellen wegen des Verlustes an Entwicklungspotenz nur noch pluripotent sind. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Totipotenz)
  2. "Verwenden"
    zweckgerichteter Gebrauch
  3. Embryoscoring
    Die Bebobachtung des Embryos in seiner Entwicklung

Nun zur Entscheidung des BGH und seinen Auswirkungen

Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Angeklagte ist Arzt und führte in den Jahren 2005 und 2006 an Patientinnen, welche alle genetisch vorbelastet gewesen sind eine PID durch. Dabei wurden, jeweils am Tag 5 nach der Befruchtung, eine Blastozystenbiopsie durchgeführt. Die dadurch entnommenen Zellen wurden anschließend mittels Fluoreszenz in situ Hybridisierung (FISH) auf Chromosomenaberrationen hin untersucht. Die positiv getesteten Embryonen wurden nicht weiter kultiviert. Jeweils ein negativ getesteter Embryon wurde der Patientin eingesetzt. Nach der Durchführung zeigte er sich, um Rechtssicherheit zu bekommen selber an.

Die Entscheidungsgründe:

Dieser Sachverhalt wurde unter zwei Gesichtspunkten durch den BGH begutachtet. 1. Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG und 2. § 2 Abs. 1 ESchG. Eine Strafbarkeit nach beiden Paragraphen wurde für diesen Sachverhalt nicht festgestellt.

Die Gründe zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 ESchG
Grundsätzlich tritt eine Strafbarkeit nach § 1 Abs. 1 Nr.2 ESchG nur ein, wenn "das Unternehmen der künstlichen Befruchtung nicht auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft gerichtet ist." Im strafrechtlichen Sinne muss es dem Täter auf den Erfolgeintritt ankommen, weitere Beweggründe bzw. Nebenzwecke stehen dem Absichtserfordernis nicht entgegen. Auch kann die Erfolgsabsicht generell unter eine Bedingung gestellt werden. Dass bedeutet, dass eine Herbeiführung einer Schwangerschaft nur mit einem gesunden Baby, was wiederum die nicht Übertragung kranker Embryonen einschließt, nicht an der Erfolgsabsicht im generellen zweifeln lässt. Die Untersuchung der Embryonen war nur Zwischenziel, dass heißt, sie wäre nicht durchgeführt worden, wenn nicht die Absicht der Herbeiführung der Schwangerschaft bestanden hätte. Eine Ausschließlichkeit der Herbeiführung der Schwangerschaft ist durch § 1 Abs. 1 Nr.2 ESchG nicht normiert. Ein wichtiger Aspekt bei der Betrachtung des Falles war aber auch, dass der Täter hier die Untersuchung an pluripotente Zellen durchgeführt hat. Denn eine "PID an totipotenten Zellen" ist gem. "§ 2 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 ESchG, jeweils i.V.m. § 8 Abs. 1 ESchG, eindeutig untersagt und mit Strafe bedroht." Durch die Entnahme von pluripotenten Zellen ist der Embryo selbst nicht betroffen und der Schutzzweck des ESchG wird nicht verletzt. Hinzu kommt der Einfluss und Gedankengang des Gesetzgebers im Hinblick auf § 3 Satz 2 ESchG. Die dort getroffene Werteentscheidung des Gesetzgebers lässt sich auf die hier vorgenommene PID zum Ausschluss von Erbkrankheiten übertragen, denn auch hier kann nur "der aus dem Risiko einer ... Erbkrankeit des Kindes resultierenden Konfliktlage der Eltern Rechnung getragen" werden. Auch im Hinblick auf die erlaubte schwangerschaftliche Untersuchung im Mutterleib nach Erbkrankheiten, welche bei positionen Befund bis zu den Eröffnungswehen zu einem straffreien Schwangerschaftsabbruch führen kann ist ein in der Gesamtschau der gesetzlichen Normierungen wichtiger Aspekt gewesen den Angeklagten frei zu sprechen. 
Eine Strafbarkeit kann ferner auch nicht aus § 15 Abs. 1 Satz 1 GenDG geschlussfolgert werden. "Denn der Gesetzgeber hat die Problematik" der PID "ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes herausgenommen." 
- Leider nimmt der BGH zu dem Stichtagsprinzip des § 15 Abs. 2 GenDG keine Stellung. Denn auch in diesem Paragraphen hat die Gesetzgebung wie auch schon Gerichte eine Strafbarkeit oder Erfüllung von dem Eintritt eines Tages abhängig gemacht. Der 18. Geburtstag ist anscheinend sowohl für Gesetzgebung als auch Gerichte ein besonderer Tag andem festgemacht werden soll ob z.B. eine Kostenübernahme oder eine Strafbarkeit erfolgen kann bzw. soll. Es bleibt abzuwarten, wann Gerichte und Gesetzgeber von dieser Stichstagsproblematik endlich Abstand nehmen und in jedem Einzelfall den Erfolgseintritt von einer Einzelfallentscheidung und somit Gesamtbetachtung abhängig machen.-
Bei der durch den BGH vorgenommenen Interpretation hat dieser sich auf die "Durchführung der Untersuchung auf schwerwiegende genetische Schäden zur Vermeidung der genannten gewichtigen Gefahren im Rahmen der PID" beschränkt. Das bedeutet, dass dieses Urteil kein Freibrief für sogenannte "Designerbabies" ist!!!

Die Gründe zu § 2 Abs. 1 ESchG
"Die durch den Angeklagten vollführten Zellentnahmen stellten kein "Verwenden" der Embryonen dar." Die Vorschrift wurde nicht als Auffangtatbestand geschaffen sondern mit dem Gedanken, "dass menschliches Leben grundsätzlich nicht zum Objekt fremdnütziger Zwecke gemacht werden darf." Dass heißt, dass der Gesetzgeber beispielsweise eine Embryonenforschung oder die abspaltung totipotenter Zellen verhindern wollte. Der BGH geht in seiner Entscheidung noch einen Punkt weiter und versteht unter "Verwenden" auch das Embryoscoring und das betrachten von Embryonen unter dem Lichtmikroskop zum Zwecke morphologischer Untersuchungen.


- Damit stellt der BGH das betrachten von Embryonen unter dem Lichtmikroskop unter Strafe. Gründe für diese Auslegung bzw. Interpretation nennt der BGH nicht, obwohl er mit dieser Einschätzung einen Einschnitt in die Fortpflanzungsmedizin macht. Dieses Betrachten ist für den Embryo ohne Folgen und invasiv. Es soll nur dazu dienen, dass Mehrlingsschwangerschaften, welche immer ein erhöhtes Risiko für die Föten und die Mutter darstellen, verhindert werden. Laut deutschen IVF-Register mit Stand vom 04.09.2009 liegt die Chance von Mehrlingsschwangerschaften bei durchschnittlich 25 %, wobei es bei allen Verfahren eine prozentuale Steigerung gab. Diese Steigerung kann unter anderem daran liegen, dass die gesetzliche Krankenkasse maximal die hälfte der Kosten übernimmt. Denn eine künstliche Befruchtung ist für die betroffenen Paare nicht nur pyschisch belastend, für die Mutter darüber hinaus durch die Hormonbehandlung auch äußerst physisch belastend, sondern mit jeder neuen Behandlung steigt auch die finanzielle Belastung. Um möglichst wenige Anläufe bis zur Schwangerschaft und schließlich Geburt eines gesunden Kindes zu benötigen lassen sich die Frauen häufig alle 3 möglichen Embryonen einpflanzen, was dann zu dem erhöhten Mehrlingsrisiko führt. Würde man nun die Embryonen vor Übertragung in den Mutterleib dieser Beobachtung unter dem Lichtmikroskop unterziehen, könnten die Embryonen mit keiner oder nur geringer Lebensfähigkeit bzw. überzählig sind liegen lassen und nicht weiter kultivieren. Es würde nur ein Embryo Übertragen werden. Das Gesundheitsrisiko wäre demnach für die Mutter und den Fötus erheblich verringert. Eine wirkliche und vorzunehmende Abwägung hat der BGH also nicht vorgenommen. Es bleibt demnach zu hoffen, dass wiederum ein Arzt den Mut hat diese Methode vorzunehmen und sich danach selbst anzuzeigen, damit sich die Gerichte erneut mit dieser Frage beschäftigen müssen und dann auf der Grundlage des heutigen Stand der Technik und unter Abwägung der Rechtsgüter.-
Auch das nicht weiter kultivieren der Embryonen mit positiven Befund stellt keine Verletzung des § 2 Abs. 1 ESchG dar. Der BGH hat das stehen und Absterben lassen der Embryonen dabei als Unterlassen qualifiziert und die äußert interessante Frage aufgeworfen, ob der Arzt eine Garantenstellung gegenüber dem Embryo hat. Leider geht er nicht näher auf diese Frage ein, denn der Arzt hätte die Embryonen nicht gegen den Willen der Mutter in deren Gebärmutter übertragen dürfen. Eine Pflicht zur Kryokonservierung leitet sich aus dem ESchG ebenfalls nicht ab. (Mit der Frage, ob ein Arzt gegenüber einem Embryo einen Garantenstellung hat, möchte ich mich, aufgrund der Fülle dieses Beitrages, in einem neuen Beitrag widmen.)

Kontaktaufnahme mit der Autorin: sk@ihr-rechtsanwalt.eu

http://www.buerogemeinschaft-fuer-medizinrecht.de/

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